Die Stärken autistischer Kommunikationsweisen, Offenheit, Wertfreiheit und Reflexion, bilden zusammen mit ihrem forschenden Blick den Schlüssel zum Verstehen spezifisch autistischen Denkens.
Autistische Menschen erleben sich häufig als Forschende in einer ihnen grundsätzlich fremden Welt. Am seltsamsten erschien mir der Umstand, dass alle Menschen sich so verhielten, als lebten sie nicht in einer Welt, die fremder und merkwürdiger gar nicht sein könnte. Buchtitel wie "An Anthopologist on Mars" oder Bezeichnungen wie "Wrong Planet Syndrome" zeigen mir, dass ich mit meinem Empfinden nicht der einzige bin. Diese Haltung entspricht durchaus der einer Ethnomethodologie. Detailorientiertes autistisches Wahrnehmen und das "typische" bottom-up Denken autistischer Menschen machen sie in der Tat zu Forschern. Zu qualitativen Forschern, um genau zu sein, die - analog einer Grounded Theory - aus den Puzzelteilen der wahrgenommenen Details ein Ganzes zusammensetzen, dass eher einer Collage als einer geschlossenen Theorie gleicht. Ihre inkohärente Wahrnehmungsverarbeitung tendiert deutlich weniger dazu, das Wahrgenommene in vorgefundene Konzepte zu pressen, als ein zentral kohärentes Denken.
Tatsächlich haben wir bei autWorker von Beginn an die Erfahrung gemacht, dass die Workshops Forschungen waren: Nur vordergründig Forschungen über die eigenen Fähigkeiten, in Wirklichkeit aber über Autismus: Über den eigenen Autismus im Abgleich mit dem der anderen Teilnehmenden und der Moderierenden ("erfahrenen Autisten"). Ein Abgleich, der sowohl durch die Kommunikation im Workshop erfolgt als auch durch Beobachtung. Durch die thematische Fokussierung, die moderierende Begleitung und den komplett autistischen Rahmen bieten solche Workshops einmalige Gelegenheiten, den eigenen Autismus zu erforschen.
Auch die oder der Moderierende(n) sind Teil dieses Forschungsprozesses; das müssen sie wissen und auch beobachten. Mit den Workshops verbreitert sich ihr Erfahrungshorizont, sodass sie die Wechsel der Perspektiven und zwischen Theoriebildung und Erfahrung über die Grenzen eines Workshops hinaus vollziehen können. Dafür ist es wichtig, gezielt den Wechsel der Perspektiven zwischen Vertrautheit und Fremdheit zu beobachten. Die Theoriebildung besteht demnach aus einer zunehmenden Verdichtung der Erfahrung; die Analyse auch innerhalb der einzelnen Workshops aus einer (Re-)Strukturierung des Gesagten und Geschriebenen. Eine gute Methode dafür sind die Workshopberichte, die ich mit einem Abstand von zwei bis drei Wochen nach dem Workshop über jeden Teilnehmenden schreibe. Den Bericht erhält der jeweilige Teilnehmende als Rückmeldung. Die Berichte sollten etwas zu den Interessen und Denktypen enthalten, wie sie in dem Workshop erarbeitet wurde (allerdings in verdichteter Form), Hinweise zur weiteren Entfaltung der Fähigkeiten und Potenziale, sowie (gegebenenfalls) Antworten auf Fragen, die implizit oder explizit im Workshop aufgeworfen wurden.
Damit ein Workshop funktioniert, müssen sich die Teilnehmenden sicher fühlen. In der Regel entscheiden die ersten Minuten eines Workshops, ob er gelingt oder nicht. Im Fall des Gelingens wird der Workshop von allen Teilnehmenden als sichere und barrierefreie Kommunikationsumgebung wahrgenommen. Ein solcher Workshop wird dann als sicher wahrgenommen, wenn die Teilnehmenden von Beginn an merken, dass er ihren Kommunikationsweisen entspricht. Es ist ein Ort, in dem autistische Menschen verstanden werden. Die Kommunikation ist geprägt durch Offenheit, Wertfreiheit, Interesse und Reflexion; dabei gehen die Moderierenden mit bestem Beispiel voran. Damit entspricht der Workshop einer Dialogischen Introspektion, für die diesselben Regeln gelten. Er wird zu einem Forschungszusammenhang - falls es gelingt, die Ergebnisse in angemessener Weise zu dokumentieren. Mit ihrer Offenheit und ihren Reflexionen schenken die Teilnehmenden den Moderierenden ein großes Maß an Vertrauen, mit dem verantwortungsvoll umgegangen werden muss.
Entscheidend für den Workshop ist die Haltung der Moderierenden, die mit achtsam beschrieben werden kann. Ein Aspekt der Achtsamkeit ist die innere Achtsamkeit: die eigenen Regungen, Wahrnehmungen und Gefühle reflektieren, sich seines Denkens in jedem Moment bewusst zu sein, insbesondere auch, die anderen Teilnehmenden im Spiegel der eigenen Gefühle und Gedanken wahrzunehmen. Spüre ich etwa das Aufkommen einer Unruhe in mir, kann es - und wird es wahrscheinlich - sich um die Unruhe eines oder mehrerer Teilnehmenden handeln, die sich in diesem Gefühl spiegeln. Das gilt es, wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, denn autistische Menschen sind in der Regel für die Gefühle anderer Menschen sehr sensibel. Ein weiterer Aspekt ist die Achtsamkeit der Wahrnehmung: die Dinge, das Wahrgenommene, so wahrzunehmen, wie es ist, ohne Wertung, ohne Interpretation. Es ist eine Wahrnehmung jenseits der Bedeutungen; das Wahrgenommene bedeutet zunächst einmal nichts. Es ist eine gleichbleibend schwebende Aufmerksamkeit, die Haltung einer oder eines qualitativen Sozialforschenden, das Interesse einer oder eines Nichtwissenden die Neugier einer oder eines Lernenden. Der dritte Aspekt ist die äußere Achtsamkeit, das Bewusstsein und Wissen um die eigene Wirkung auf die Teilnehmenden: Was nehmen sie wahr, wenn sie mich wahrnehmen, was beobachten sie, wenn sie mich beobachten? Moderierende sind Spiegel für die Teilnehmenden - ob man es wollen oder nicht. Deshalb ist es so wichtig, zu wissen und sich bewusst zu machen, was man den Teilnehmenden widerspiegelt.
Achtsamkeit ist im allgemeinen Verständnis etwas, was sich Menschen manchmal mühsam aneignen müssen und durch Übungen oder Meditationen erlangen. Autistische Menschen werden in eine solche Achtsamkeit geboren, sie leben im Strom ihrer Wahrnehmungen und Assoziationen, sind offen für Lebewesen wie Dinge, ohne zu werten und ohne zu deuten. Sie beobachten beobachten bewusst, wie ihr Denken den Wahrnehmungsstrom reguliert, wie es ihn in assoziativen Netzwerken verknüpft und wie sich über diese Netzwerke die Sprache legt, die - meistens brüchig und unvollständig - eine zweite Wirklichkeit zu bilden versucht. Doch sehr oft verlernen sie diese Achtsamkeit wieder, weil sie gerade diese Offenheit als bedrohlich erleben und auch lernen, dass sie nicht zu der Art und Weise passt, wie Menschen miteinander interagieren und kommunizieren. Die Aufgabe der Moderierenden besteht also darin, den eigenen Autismus wieder zu entdecken, ihn in ihr Leben zu integrieren und zu entfalten. Sie finden zurück in die autistische Welt, in die sie hineingeboren wurden, und entdecken den Schatz, der darin verborgen ist. Es ist letzlich diese autistische Welt der Moderierenden, in der sich die Teilnehmenden eines Fähigkeitenworkshops widerspiegeln.
Für die Moderierenden sind die Fähigkeitenworkshops ein Weg, Autismus, autistische Menschen und letztlich sich selbst mit dem eigenen spezifischen Autismus zunehmend besser kennen und verstehen zu lernen.